Schon mal vom „1-Grad-Abweichung“ gehört? Der slowenische Kollege Tomaz Mencinger hat auf seinem Blog ausgerechnet, wie stark sich die Richtung des Ballflugs bei einer 1-Grad-Abweichung beim Treffpunkt Ball-Schläger verändert. Er hat das mit einfachsten mathematischen Methoden berechnet, die zusätzliche Faktoren wie Abweichung der Schlägerstellung, wie Luftströmung, Zustand des Balles, Bespannungshärte. vertikale und horizontale Abweichung der Schlägerstellung vernachlässigen.
Er kommt zu dem Ergebnis, dass man schon mit dieser minimalen Abweichung in der Schlägerstellung das anvisierte Ziel im Spielfeld um bis zu 41 cm verfehlt. Das erklärt natürlich, warum es besser ist, in Drucksituationen den Ball eher in die Spielfeldmitte zu spielen. Eigentlich banales Wissen über eine erfolgreiche Taktik auf dem Tennisplatz.
Spannend wird es dann, wenn wir berücksichtigen, was uns die Forschung der Neurobiologie über das „choking under pressure“ Phänomen oder die Beobachtung zu „Paralyse durch Analyse“ sagt.
Der Einsatz unseres präfrontalen Cortex, der grauen Hirnmasse, bestimmt die Einleitung vieler Handlungen, der Steuerung erlernter motorischer Fähigkeiten, wie Schreiben, Musikinstrumente spielen und Schnürsenkel binden, und die Steuerung komplexer intellektueller Prozesse, wie Sprache, Denken, Konzentration, Problemlösen und Vorausplanen, also das bewusste Nachdenken über aktuell erforderliches Handeln. Je mehr wir über die konkrete Aufgabe nachdenken, also zum Beispiel das Verwandeln eines „Elfmeters“ auf dem Tennisplatz oder auf dem Fußballplatz, desto mehr verlangsamt sich die motorische Aktion, also der Schmetterball ins leere Feld oder der Torschuß in die vom Torhüter freigemachte Ecke. Nachdenken verlangsamt den Ablauf der Bewegung.
Sportwissenschaftler Wolfgang Schöllhorn hat auf diesen spannenden Zusammenhang zwischen der Konzentration auf die eigene Körperwahrnehmung und dem „Choking under pressure“-Phänomen hingewiesen: Wenn der Frontallappen aktiv ist, wenn ich über meine Bewegungen nachdenke, ist nicht nur der Zugang zu den automatisierten Bewegungsabläufen blockiert, sondern die Bewegung wird eben auch noch langsamer! Eine motorische Handlung, die die Spieler:innen sonst „wie im Schlaf“ beherrschen, weicht vom Erwarteten ab. Mehr darüber in meinem Artikel in TennisSport 1/2019. Das erklärt die Ursachen und Folgen einer 1-Grad-Abweichung.
Da wir auf diesem Blog einen streng evidenzbasierten Blickwinkel einnehmen wollen, würde ich mich freuen, wenn Du einen Denkfehler oder eine Wahrnehmungsverzerrung in den hier formulierten Thesen findest. Vielleicht kennst Du aber sogar Studien, die die hier formulierten Thesen stützen.