Von Dr. Gabriele Wulf
Wer schon einmal einen Ski-, Tennis- oder Surf-Kurs absolviert hat weiß, daß Bewegungsanleitungen und Korrekturhinweise einen zentralen Bestandteil von Lehr- und Lernprozessen im Sport bilden. Die Instruktionen beziehen sich dabei üblicherweise auf die räumlich-zeitliche Koordinierung der Körperbewegungen. Im Tennis werden zum Beispiel die einzelnen Phasen des Vorhandschlags (Aus-hol-, Schlag- und Ausschwungbewegung) und deren Abstimmung mit dem ankommenden Ball beschrieben, erklärt und demonstriert; bei Abweichungen von der Zieltechnik gibt der Trainer entsprechende Korrekturhinweise. Skischüler erhalten Instruktionen zur Körperhaltung, zur Be- und Entlastung der Skier, zum Stockeinsatz und so weiter. *Schädliche Instruktionen* Die Aufmerksamkeit der Lernenden wird also durchweg auf die eigenen Bewegungen gelenkt. Es gibt indes eine Reihe anekdotischer Hinweise darauf, daß dies nicht unbedingt von Vorteil ist, sondern sich sogar nachteilig auf die motorische Leistung auswirken kann – zumindest wenn es um hochgeübte, automatisierte Bewegungen geht. Sie laufen dann plötzlich weniger flüssig ab oder mißlingen sogar völlig. Aufgrund solcher Erfahrungen empfiehlt zum Beispiel Timothy Gallwey in seinem Buch „Tennis und Psyche – das innere Spiel“, den Gegner während des Seitenwechsels zu fragen, warum seine Vorhand heute so gut klappe – in der perfiden Absicht, seine Aufmerksamkeit auf den Bewegungsablauf zu lenken und dadurch zu erreichen, daß die Schläge nicht mehr so locker und selbstverständlich kommen. Wissenschaftliche Untersuchungen des Phänomens gab es bisher kaum. An unserem Labor haben wir deshalb nun erstmals eine gründliche Studie darüber durchgeführt. Dabei ließen wir die Versuchspersonen zum Beispiel drei Tage lang üben, auf einem Ski-Simulator mit slalom-ähnlichen Bewegungen hin und her zu schwingen. Sie sollten dabei möglichst weite Auslenkungen und eine hohe Frequenz erreichen. Am vierten Tag gaben wir Hinweise zum optimalen Zeitpunkt des Schwunggebens. Bei fast allen Versuchspersonen verschlechterte sich daraufhin die Amplitude, Frequenz oder Flüssigkeit der Bewegungen. Die Instruktionen in diesem fortgeschrittenen Lernstadium waren also keineswegs hilfreich, sondern eher störend. Wirken sich Bewegungsanweisungen dann wenigstens zu Beginn des Lernprozesses positiv aus? Um dies zu prüfen, gaben wir einer Versuchsgruppe am Anfang der Übungsphase (nach einem Vortest) Tips zum optimalen Zeitpunkt des Schwunggebens, während eine zweite Gruppe keine solchen Hinweise erhielt. Als Leistungsmaß diente das Produkt aus Amplitude und Frequenz der Bewegungen (was der Bewegungsgeschwindigkeit entspricht). Während der dreitägigen Übungsphase schnitt die nicht instruierte Gruppe zunehmend besser ab. Besonders deutlich waren die Unterschiede in einem anschließenden Test, bei dem die Teilnehmer durch die Aussage, eine Ski-Expertin beurteile ihre Technik, einer zusätzlichen psychischen Belastung ausgesetzt wurden (Bild links). Auch hier wirkten sich also Instruktionen, von denen man eigentlich eine lernfördernde Wirkung erwartet, nachteilig aus. *Erfolg durch externen Aufmerksamkeitsfokus* Was heißt das für die Vermittlung sportmotorischer Fertigkeiten? Muß man es grundsätzlich den Lernenden überlassen, die richtige Technik durch Probieren selbst zu entdecken? Oder kann man die Instruktionen doch so gestalten, daß sie das Bewegungslernen tatsächlich fördern und nicht beeinträchtigen? In unserem Labor haben wir eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt, die auf eine mögliche Lösung dieses Problems hindeuten. Demnach scheint der Ausweg darin zu bestehen, daß man sich nicht auf die Bewegungen selbst konzentriert (interner Fokus), sondern die Aufmerksamkeit auf den Effekt lenkt, den man damit erzielen will (externer Fokus). In einem ersten solchen Experiment verwendeten wir ebenfalls einen Ski-Simulator, bei dem die Versuchspersonen auf einer Plattform mit Rollen stehen. Diesmal bildeten wir drei Gruppen. Eine erhielt die Instruktion, jeweils den äußeren Fuß zu belasten, beim Schwingen nach rechts also den rechten und umgekehrt. Die Anweisung an die zweite Gruppe unterschied sich davon nur in einem Wort: Statt des Fußes sollten jeweils die Rollen belastet werden. Da sich diese direkt unter den Füßen befinden, lagen die Punkte, auf die sich die Versuchpersonen konzentrieren sollten, also nur minimal auseinander. Der wesentliche Unterschied bestand allerdings darin, daß die Aufmerksamkeit der einen Gruppe auf die eigenen Körperbewegungen (Füße), die der anderen hingegen auf den Ef-fekt dieser Bewegungen, nämlich den Druck auf die Räder, gelenkt wurde. Eine dritte Gruppe schließlich erhielt keine Instruktionen zur optimalen Technik. Die Mitglieder der beiden ersten Gruppen wurden während der zwei Übungstage mehrmals kurz daran erinnert, worauf sie achten sollten. Am dritten Tag führten alle Gruppen einen Behaltenstest durch, in dem die überdauernden Lerneffekte erfaßt und keine Instruktionen mehr gegeben wurden. Die Ergebnisse des Experiments waren eindeutig (rechts im Bild auf Seite 17). Bereits während der Übungsphase ergab sich ein zunehmender Leistungsvorsprung der Gruppe, die sich auf die Räder konzentrierte, gegenüber derjenigen, deren Aufmerksamkeit auf die Füße gerichtet war. Die Kontrollgrup-pe ohne Instruktionen erreichte mittle-re Schwungweiten. Im Behaltenstest schließlich zeigten sich deutliche Lernvorteile für die Gruppe mit externem Aufmerksamkeitsfokus gegenüber den beiden anderen. Um die Allgemeingültigkeit unseres theoretisch wie praktisch höchst bedeutsamen Befundes zu prüfen, machten wir ein zweites Experiment, in dem die Versuchspersonen eine andere komplexe motorische Fähigkeit erlernen sollten: das Balancieren auf einem Stabilometer. Dabei handelt es sich um eine Plattform, die sich nach rechts und links um jeweils rund 30 Grad kippen läßt und von der auf ihr stehenden Versuchsperson möglichst ruhig in der Horizontalen zu halten ist. Gemessen wurde die durchschnittliche Abweichung von der Waagerechten während eines 90sekündigen Durchgangs. Die beide Versuchsgruppen wurden instruiert, im einen Falle die Füße, im anderen zwei kleine Markierungspunkte auf der Plattform direkt vor den Füßen auf gleicher Höhe zu halten. Auch diesmal übten beide Gruppen die Aufgabe an zwei aufeinanderfolgenden Tagen und absolvierten am dritten einen Behaltenstest. Wiederum ergaben sich signifikante Lernvorteile bei externem Aufmerksamkeitsfokus: Diejenigen Versuchspersonen, die statt auf die Füße auf die Markierungspunkte achteten, vermochten sich wesentlich besser im Gleichgewicht zu halten. Lassen sich diese in künstlichen Laborsituationen erzielten Ergebnisse auch auf das Lernen sportmotorischer Fertigkeiten in ihrem natürlichen Kontext übertragen? Um dies zu verifizieren, führten wir schließlich noch ein Experiment zum Golfspielen durch. Wir ließen zwei Gruppen von golf-unerfahrenen Versuchspersonen üben, Bälle auf ein 15 Meter entferntes Ziel zu schlagen. Alle erhielten identische Instruktionen über den korrekten Griff, die richtige Körperhaltung und so weiter, wobei jedoch die Aufmerksamkeit bei einer Gruppe auf die Schwungbewegung der Arme, bei der anderen dagegen auf den Schwung des Golfschlägers gelenkt wurde. Auch in dieser realen Sportsituation bestätigte sich unsere Hypothese: Die Versuchsgruppe mit externem Fokus traf sowohl während der Übungsphase als auch beim Behaltenstest am Ende das Ziel wesentlich genauer als die Gruppe mit internem Fokus. *Erklärungsansätze* Wie läßt sich dieses erstaunliche Phänomen erklären? Anscheinend ist die motorische Steuerung von Bewegungen ein automatisch ablaufender Prozeß, der durch bewußte Einflußnahme in der Regel nur gestört wird. Wie extrem genaue Adjustierungen das motorische System vornehmen kann, ohne daß der Betreffende dies überhaupt zur Kenntnis nimmt, demonstrierte der amerikanische Psychologe Franklin Henry schon im Jahre 1953. Seine Versuchspersonen sollten einen Hebel, der von einem kleinen Motor abgelenkt wurde, in der senkrechten Position halten. Wie sich zeigte, reagierten sie durchschnittlich schon auf Änderungen im Druck, die nur ein Zwanzigstel des Wertes betrugen, bei dem sie eine Druckänderung überhaupt bewußt wahrzunehmen vermochten. Dies läßt verständlich erscheinen, daß der Versuch einer verstandesmäßigen Bewegungskontrolle eher kontraproduktiv ist. Einen geeigneten Erklärungsrahmen bieten auch neuere Vorstellungen von Wolfgang Prinz und seiner Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für psychologische Forschung in München. Während nach klassischer Ansicht Wahrnehmung und Handlungssteuerung in zwei funktional getrennten mentalen Subsystemen ablaufen, werden der Common-coding-Theorie von Prinz zufolge wahrgenommene Inhalte und geplante Handlungen in gleicher Form im Gehirn repräsentiert: als vorgefundene beziehungsweise intendierte Umweltereignisse. Unter diesen Umständen sollten motorische Aktionen tatsächlich besser gelingen, wenn sie im Sinne ihrer beabsichtigten Effekte in der Umwelt und nicht nur einfach als körperliche Bewegungsmuster geplant werden. Obwohl unsere Ergebnisse zu dieser Theorie passen, werden sie dadurch aber nicht erschöpfend erklärt. Zu ihrem Verständnis bedarf es weiterer Forschung.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1998, Seite 16 © Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH