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Der Streit um des Kaiser’s Bart oder um seine neuen Kleider?

Seit langem bin ich intensiv auf der Suche nach einer wissenschaftlichen Begründung für die Wirksamkeit des Inner Coaching. Dabei finden sich zahlreiche Hinweise in der Neurobiologie, zum Beispiel beim „Choking under pressure“-Phänomen und bei der Bewertung von Achtsamkeit und Meditation. Erste Hinweise auch beim motorischen Lernen in der Definition und wissenschaftlichen Auswertung bei Dr. Gabriele Wulf (Beiträge zu allen Hinweisen finden sich in früheren Beiträgen).

Einen weiteren Hinweis auf die Bedeutung der Selbstorganisation von Bewegungslernen meinte ich bei Wolfgang Schöllhorn und Mitarbeiter/innen und deren Überlegungen und Untersuchungen zum „Differenziellen Lernen“ (DL) gefunden zu haben. Er beruft sich auf den systemdynamischen Ansatz, der mich – oh Staunen – zu meinen systemischen Überlegungen zurückführt. Ich erinnere zum Beispiel an die Beschreibung von „paradoxen Interventionen“ in meinem Tennistraining, die aber immer noch einer wissenschaftlichen Fundierung bedürfen.

Nun wird in einer neueren Kritik von Stefan Künzell und Ernst-Joachim Hossner (Sportwissenschaft 2-2012)  das differenzielle Lernen und Lehren nach Schöllhorn aber dermaßen zerpflückt, dass dem DL „der Boden unter den Füßen weggezogen“ scheint. Unter anderem sagen die DL-Kritiker, dass Schöllhorn den systemischen Ansatz fehlerhaft interpretiere, dass die Begründungen für das DL „jeglicher Logik“ entbehre, dass die „traditionelle“ Lehrweise verzerrt dargestellt werde und dass es der (DL-)Ansatz grundlegend an Praktikabilität vermissen lasse. Herbe Kritik und Herausforderung, mich intensiver mit dem systemdynamischen Ansatz zu befassen!

Interessant ist für mich der Verweis der beiden Autoren auf eine schriftliche Befragung von 152 deutschen Spitzentrainer/innen, bei der 41% (!) folgender Aussage zustimmten:

„Ein Squashtrainer (…) ist nicht an einer korrekten Ausführung interessiert, sondern provoziert ungewöhnliche und auch ‚falsche‘ Technikvarianten. Er definiert: Techniktraining ist für mich, daß die Spieler genau lernen, welche Bewegung unter
welchen Bedingungen zu welchem Effekt führt. Können Sie dem – übertragen auf Ihre Sportart – zustimmen? (Roth 1996, S. 175)“
Dieses Ergebnis werten sie als Indiz für eine neue Offenheit von Spitzentrainern für die Selbstorganisation von Lernprozessen. Für mich eher ein Hinweis auf weiter bestehende traditionelle Vorstellungen von Lehren und Lernen. Immerhin mehr als jeder zweite Spitzentrainer haben danach wohl ein vorgefertiges Bild von einer „Idealtechmik“.

Paralyse durch Analyse

In den nächsten Beiträgen werde ich etwas über die spannenden Untersuchungen des „Choking under pressure-Phänomens“ erzählen und diese neurologischen Erkenntnisse mit dem Inner Coaching verknüpfen.

Sian Beilock, Professorin an der University of Chicago berichtet in ihrem Buch „Choke“ darüber, warum Menschen in wichtigen Momenten im Sport und auch bei Vorträgen und Prüfungen aus der Sicht der Gehirnforscher „scheitern“.

Beginnen möchte ich mit der Beschreibung einer zentralen Erkenntnis und erst mal mit einem Ausweg aus dem Dilemma, der mich auch wieder zu den Zusammenhängen zwischen Musik und Denken, aber auch zwischen Musik, Lernen und Handeln bringt: wenn der Tennisprofi  in einer entscheidenden Spielsituation und unter hohem psychologischem Druck beginnt über seine eigentlich automatisierte Schlagtechnik nachzudenken, vielleicht sogar anfängt, die Bewegung in einzelne Teile zu zerlegen, dann führt das in vielen Fällen zu einer Überaktivität in dem Bereich des Gehirns, der für das Nachdenken zuständig ist, dem präfrontalen Kortex. Dieses Phänomen trifft man bei allen Sportarten an, also auch beim Fußballer z.B. beim Elfmeterschießen, beim Volleyballer beim entscheidenden Zuspiel, usw.

Selbstverständliche Bewegungsabläufe werden blockiert und der Sportler/die Sportlerin ist „wie gelähmt“ (viele Tennisspieler kennen das Problem der von mir so genannten „Schlagarmlähmung“ bei der Vorhand, wenn es um wichtige Punkte im Match geht). Durch das Nachdenken über den Bewegungsablauf werden Bewegungen blockiert, die beim erfahrenen Spieler normalerweise außerhalb der bewußten Wahrnehmung ablaufen. In den kommenden Beiträgen werde ich mehr über Auswege aus solchen „Choking“-Situationen schreiben, die aus meiner Sicht, nicht nur Bedeutung für den ausgebildeten Sportler im Wettkampf sondern auch Bedeutung für den Sportler/die Sportlerin/die Coaches beim Bewegung lehren und lernen haben.

Ein nettes Beispiel soll aber hier den Auftakt machen: wie schon erwähnt hilft Musik beim Bewegungslernen, sie hilft aber auch dem ausgebildeten Sportler beim Ausschalten der kognitiven „Brainpower“ und der Vermeidung von Paralyse durch Analyse:  besonders hilfreich war zum Beispiel das Stück Monty Python – Always Look on the Bright Side of Life aus dem Film „Das Leben des Brian“. (Quelle: Sian Beilock. Choke: What the Secrets of the Brain Reveal About Getting It Right When You Have To)

Ein Interview mit Sian Beilock findet Ihr über diesen Link bei youtube