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Die „1-Grad-Abweichung“ und die Konsequenzen

Schon mal vom „1-Grad-Abweichung“ gehört? Der slowenische Kollege Tomaz Mencinger hat auf seinem Blog ausgerechnet, wie stark sich die Richtung des Ballflugs bei einer 1-Grad-Abweichung beim Treffpunkt Ball-Schläger verändert. Er hat das mit einfachsten mathematischen Methoden berechnet, die zusätzliche Faktoren wie Abweichung der Schlägerstellung, wie Luftströmung, Zustand des Balles, Bespannungshärte. vertikale und horizontale Abweichung der Schlägerstellung vernachlässigen.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass man schon mit dieser minimalen Abweichung in der Schlägerstellung das anvisierte Ziel im Spielfeld um bis zu 41 cm verfehlt. Das erklärt natürlich, warum es besser ist, in Drucksituationen den Ball eher in die Spielfeldmitte zu spielen. Eigentlich banales Wissen über eine erfolgreiche Taktik auf dem Tennisplatz.

Spannend wird es dann, wenn wir berücksichtigen, was uns die Forschung der Neurobiologie über das „choking under pressure“ Phänomen oder die Beobachtung zu „Paralyse durch Analyse“ sagt.

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Ein Lob auf die Familie

Yogi Berra

“Think?! How the hell are you gonna think and hit at the same time?” (Yogi Berra, Baseballcoach) Aus zahlreichen Studien über „Versagen unter Druck“ und von berühmten Coaches wie Yogi Berra wissen wir, dass „man nicht gleichzeitig denken und den Ball schlagen kann“. In schwierigen Situationen (enge Spielstände im Tennis, Putten beim Golf, Strafstoß schießen/werfen …) ist es wenig hilfreich über die richtige Schlag-/Schußtechnik oder gar über das mögliche Scheitern nachzudenken. Die Inanspruchnahme des präfrontalen Kortex beim bewussten Nachdenken verlangsamt und behindert den Zugang zu automatisierten und schon häufig erfolgreich verwendeten Bewegungen. Das hat Mitko in einem früheren Beitrag in der „Paralyse durch Analyse“ treffend beschrieben. Hier greifen auch die von ihm in dem Beitrag https://www.tms-tennis.de/inner-coaching/choking-under-pressure/ beschriebenen Rituale.

Die Verlangsamung der Bewegungsausführung beim Nachdenken über eben selbige lässt sich wunderbar neurobiologisch messen. Das gilt nicht nur für den Experten. Sogar beim Bewegungslernen kann das Nachdenken über die „richtige Technik“ den Zugang zu bereits vorhandenen und übertragbaren Bewegungslösungen behindern. Bewegungen wie Werfen, von unten nach oben, über Kopf, seitlich,… gehören in die gleiche Bewegungsfamilie wie Vorhand-, Rückhand- und Aufschlag in den Rückschlagspielen. Explizite Erklärungen der Schlagtechnik bedürfen einer Verarbeitung im Frontallappen des Gehirns. Zusätzlich verengt die explizite Technikanleitung den Fokus. In der Forschung nennt man das „Inattentional Blindness“. Der Fokus auf die Umsetzung einer explizit vorgegebenen Bewegungsausführung zwingt uns dazu, alternative und kreative Bewegungslösungen zu übersehen.Beides kann beim Beginner und Fortgeschrittenen motorisches Lernen, Kreativität, Technikentwicklung und eben den Zugriff auf schon Vorhandenes behindern.

Deshalb ist die spielerische und ohne Technikinstruktionen auskommende Ballschule in der Vorbereitung auf das Tennis so wichtig. Deshalb sind spielerisches, implizites und differenzielles Lernen ohne Technikinstruktionen im Sport möglicherweise effektiver. Für die Technikentwicklung und für den Tennisexperten in engen Matchsituationen.

Paralyse durch Analyse

In den nächsten Beiträgen werde ich etwas über die spannenden Untersuchungen des „Choking under pressure-Phänomens“ erzählen und diese neurologischen Erkenntnisse mit dem Inner Coaching verknüpfen.

Sian Beilock, Professorin an der University of Chicago berichtet in ihrem Buch „Choke“ darüber, warum Menschen in wichtigen Momenten im Sport und auch bei Vorträgen und Prüfungen aus der Sicht der Gehirnforscher „scheitern“.

Beginnen möchte ich mit der Beschreibung einer zentralen Erkenntnis und erst mal mit einem Ausweg aus dem Dilemma, der mich auch wieder zu den Zusammenhängen zwischen Musik und Denken, aber auch zwischen Musik, Lernen und Handeln bringt: wenn der Tennisprofi  in einer entscheidenden Spielsituation und unter hohem psychologischem Druck beginnt über seine eigentlich automatisierte Schlagtechnik nachzudenken, vielleicht sogar anfängt, die Bewegung in einzelne Teile zu zerlegen, dann führt das in vielen Fällen zu einer Überaktivität in dem Bereich des Gehirns, der für das Nachdenken zuständig ist, dem präfrontalen Kortex. Dieses Phänomen trifft man bei allen Sportarten an, also auch beim Fußballer z.B. beim Elfmeterschießen, beim Volleyballer beim entscheidenden Zuspiel, usw.

Selbstverständliche Bewegungsabläufe werden blockiert und der Sportler/die Sportlerin ist „wie gelähmt“ (viele Tennisspieler kennen das Problem der von mir so genannten „Schlagarmlähmung“ bei der Vorhand, wenn es um wichtige Punkte im Match geht). Durch das Nachdenken über den Bewegungsablauf werden Bewegungen blockiert, die beim erfahrenen Spieler normalerweise außerhalb der bewußten Wahrnehmung ablaufen. In den kommenden Beiträgen werde ich mehr über Auswege aus solchen „Choking“-Situationen schreiben, die aus meiner Sicht, nicht nur Bedeutung für den ausgebildeten Sportler im Wettkampf sondern auch Bedeutung für den Sportler/die Sportlerin/die Coaches beim Bewegung lehren und lernen haben.

Ein nettes Beispiel soll aber hier den Auftakt machen: wie schon erwähnt hilft Musik beim Bewegungslernen, sie hilft aber auch dem ausgebildeten Sportler beim Ausschalten der kognitiven „Brainpower“ und der Vermeidung von Paralyse durch Analyse:  besonders hilfreich war zum Beispiel das Stück Monty Python – Always Look on the Bright Side of Life aus dem Film „Das Leben des Brian“. (Quelle: Sian Beilock. Choke: What the Secrets of the Brain Reveal About Getting It Right When You Have To)

Ein Interview mit Sian Beilock findet Ihr über diesen Link bei youtube